Kommerzialisierung

Disziplin, Tatkraft, Herausforderung, Mut, Gemeinschaftssinn/Teamgeist, die Einhaltung von Regeln, Freude und Stärke – dies alles sind Werte, die die deutsche Bevölkerung laut einer Studie aus dem Jahre 2011 mit den deutschen Wintersportlern verbindet.

Liest man weiter, so stellt man fest, dass der bekannteste deutsche Wintersportler ein Skispringer ist. 15,8% der Befragten kennen Martin Schmitt. Neben dem Biathlon ist Skispringen in Deutschland die attraktivste und beliebteste Wintersportart.

Mit der Aufmerksamkeit steigen die Preise

So betitelt die Autorin Barbara Hummel ihren Artikel in der zwölften Ausgabe des Magazins bank und markt im Jahr 2009. Was sie im Biathlon feststellt, ist durchaus auch auf die Disziplin des Skispringens zu Übertragen und so lässt sich feststellen, dass im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte die Kommerzialisierung im Skispringen deutlich fortgeschritten ist.

Wie jede Sportart, muss allerdings auch das Skispringen „um das Überleben kämpfen“. Um in den Fokus der Öffentlichkeit zu gelangen wurden und werden stets verschiedenste Maßnahmen und Anpassungen auf den unterschiedlichsten Ebenen der Sportart begangen. (siehe „Entwicklung“)

In einer Zeit, in der eine Sportart kaum überleben kann, ohne in den Medien präsent zu sein, veränderte sich das Skispringen sehr stark. Bestes Beispiel für die immer weiter voranschreitende Eventisierung der Sportart ist die alljährliche Vierschanzen-Tournee.

Vierschanzen-Tournee

Die Tournee war stets ein Vorbild und Motor für den Skisprung-Sport […]. Und selbstverständlich ist die Vierschanzen-Tournee ein Spiegelbild des Skispringens.
– Klaus Taglauer

Besonders im Hinblick auf die Kommerzialisierung im Skispringen, ist die Vierschanzen-Tournee das wichtigste Event und in gewisser Weise auch ein „Spiegelbild“ des kompletten Sports.

Seit der ersten Tournee in den Jahren 1952/53, wird dieses besondere Event jedes Jahr zum Jahreswechsel an den vier Orten Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck und Bischofshofen ausgetragen.
Dieses Jahr wurde somit die 62. Tournee ausgetragen. Der Sieger der diesjährigen Vierschanzen-Tournee ist der 21-jährige Newcomer Thomas Diethart aus Österreich.

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Konzept der Tournee

An den vier Austragungsorten, wovon sich zwei in Deutschland und zwei in Österreich befinden, findet jeweils ein Wettbewerb statt. Neben den vier Einzelsiegen, die ebenfalls Bestandteil des FIS Skisprungweltcups sind, gibt es auch eine Gesamtwertung zu gewinnen.

Die Preisgelder belaufen sich pro Springen auf mindestens 70.000 SFR. Dabei gehen 30.000 SFR an den Sieger. Dem Gesamtsieger der Tournee winkt zudem ein Auto eines Hauptsponsors. Momentan ist dieser Honda und so bekommt der Gewinner neben dem Preisgeld für die Einzelplatzierungen auch einen Honda Civic Tourer. Anders als bei den restlichen Wettbewerben des Weltcups, bekommen bei den Springen der Tournee nur die ersten Zehn Platzierten einen Anteil am Preisgeld. Bei allen anderen Springen bekommt jeder der 30 Qualifizierten für den zweiten Wertungsdurchgang 100€ pro erreichten Weltcuppunkt – der Sieger somit 10.000€.

Um das „Event“ Vierschanzentournee für das Publikum attraktiver zu gestalten, wird seit den Springen in den Jahren 1996/1997 der erste Durchgang im K.O-Modus ausgetragen. Dies geschieht allerdings nur, wenn am Vortag des Springens eine Qualifikation stattgefunden hat und dadurch die jeweiligen Paarungen zu Stande kamen.

Seit der Saison 2011/2012 ist für den sogenannten Grand-Slam ein Jackpot von Einer Million Schweizer Franken ausgeschrieben. Der legendäre Grand-Slam bei der Tournee bedeutet den Einzelsieg auf allen vier Schanzen während einer Tournee. Bisher gelang dieses Kunststück nur dem deutschen Springer Sven Hannawald in der Saison 2001/2002. An diesem enormen Jackpot wird erneut deutlich, wie wichtig es auch für Sponsoren ist, eine große Geschichte um das Skispringen zu machen. Für Sven Hannawald bedeutete dieser Triumph einen enormen Aufschwung in der Öffentlichkeit.

Skispringen im TV

AB NEUJAHR ÜBERTRÄGT RTL DIE VIERSCHANZENTOURNEE – ALS MASSENTAUGLICHES SPORT-EREIGNIS – 27.12.1999 Berliner Zeitung, Björn Wirth, Inszenierte Quotensprünge

Mit Sicherheit ist dieser mediale Aufschwung auch dem Sender geschuldet, der vom 01.01.2000 bis zur Saison 2006/2007 die Vierschanzentournee übertragen hatte: RTL. Ähnlich wie in der Formel1 formte der Sender aus der Tournee ein riesiges mediales Event. Wie wichtig für die Übertragung und den medialen Erfolg dieser Sportart allerdings die Erfolge von heimischen Athleten ist, lässt sich an den TV-Quoten der vergangenen Jahre sehen. Im Erfolgsjahr Hannawalds verfolgten über 36 Mio Zuschauer vor den Bildschirmen die Tournee. Das sind also über 9 Mio pro Springen (Spitze: 15 Mio). Im Jahre 2006 sahen durchschnittlich 5,12 Mio Zuschauer die Springen der Tournee. Die Erfolge der deutschen Mannschaft blieben in dieser Zeit weitestgehend aus. Verglichen mit anderen Wintersportgroßereignissen sind diese Werte zwar dennoch Spitze und auch die Bekanntheit und Attraktivität des Ereignisses sei laut einer Umfrage des Beratungsunternehmens IFM nicht gesunken, entschied sich der Sender RTL dazu, die Vierschanzen-Tournee nicht mehr zu übertragen.

„Wir müssen aufpassen, dass der Skisprungsport nicht im Boden versinkt.“

„Aber gäbe es nicht die Tournee, hätte sich diese düstere Prognose vielleicht längst bewahrheitet.“
– Dieter Thoma, 27.12.2007,  Der Star ist die Schanze, Handelsblatt

Der enorme Wert der Vierschanzentournee ist nicht zu bestreiten. So hat dieses alljährliche Event eine deutlich höhere Zahl an Sponsoren aufzuweisen, als die restlichen Springen im Wettkampfkalender.

Sponsoren der Vierschanzen-Tournee

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Sponsoren des FIS Skisprung Weltcups

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Seit der Saison 2010/2011 gibt es außerdem ein neues, offizielles Logo der Vierschanzen-Tournee.

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Wie anfangs schon erwähnt, ist Martin Schmitt der bekannteste deutsche Wintersportler. Mit Sicherheit würden auch viele Menschen den Sponsor auf seinem Helm wissen. Im Skispringen wird sehr stark deutlich, was mittlerweile in vielen Sportarten der Fall ist: Viele Flächen, am besten solche, die häufig im TV zu sehen sind, dienen als Werbefläche für Sponsoren.

Oft fällt dem Zuschauer nicht auf, wie viele Werbebotschaften ihm während einer Sportübertragung gesendet werden. Um dies zu verdeutlichen, sind hier Bilder vom Skispringen im Weltcup und bei den Olympischen Spielen, wo es ja nicht erlaubt ist, Werbung zu führen, eingefügt.

Martin Schmitt bei der Vierschanzen-Tournee

Martin Schmitt bei der Vierschanzen-Tournee

Martin Schmitt bei den Olympischen Spielen

Martin Schmitt bei den Olympischen Spielen

Auch wenn es ein ständiger Kampf um Zuschauerzahlen ist und diese ständig schwanken, so ist nach wie vor Skispringen zusammen mit Biathlon die meist gesehene Wintersportart in Deutschland. Die Stadien rund um die Anlagen sind durchaus vergleichbar mit kleineren Fußballstadien mancher Fußball-Bundesligisten und sind bei einer Tournee so gut wie immer ausverkauft:

Zuschauerplätze:
Oberstdorf: 27000
Garmisch: 35000
Innsbruck: 28000
Bischofshofen: 25000

Am Beispiel der Vierschanzen-Tournee lässt sich sehr gut zeigen, welche Rolle die Kommerzialisierung im Skispringen spielt. In der heutigen Zeit, der heutigen Sportwelt, muss eine Sportart attraktiv sein, um in den Medien vertreten zu sein. Ohne diese mediale Aufmerksamkeit ist es zudem sehr schwer bis unmöglich, Leistungssport auf höchstem Niveau zu ermöglichen. Diesem Kampf um die mediale Aufmerksamkeit stellen sich alle Verantwortlichen des Skispringens jedes Jahr aufs Neue.

Skifliegen

Ein weiterer Schritt in die Richtung der großen, attraktiven Events ist das Skifliegen.

In den letzten Jahren ist ein gewisser Gigantismus in die Skisprungbranche eingetreten. Es soll immer weiter gehen. 1994 gelang dem Finnen Toni Niemenin im slowenischen Planica der Sprung auf 203m – der erste Weltrekord über 200m. Mittlerweile steigerte der Norweger Johan Remen Evensen die Bestmarke im Jahr 2011 auf der neuen Skiflugschanze in Vikersund (Norwegen) auf unglaubliche 246,5 Meter!

Zwischen den Anlagen in Planica und Vikersund ist ein wahres „Wettrüsten und –bauen“ um den Weltrekord entstanden. Die Anlage in Planica, die momentan um- und ausgebaut wird, soll im nächsten Winter Sprünge auf über 250m, in den kommenden Jahren auf 270m, ermöglichen.
Leider sind keine Zahlen zu finden, die darstellen, ob in der Öffentlichkeit das Skifliegen auf ein größeres Publikum trifft, als ein „normaler“ Skisprung-Wettkampf. Es bleibt allerdings anzunehmen, dass spätestens bei einem neuen Weltrekord ein gesteigertes Interesse besteht. Die FIS selbst, führt keine Weltrekordliste und hat somit auch kein Preisgeld für das Springen eines neuen Rekordes erhoben, um mögliche Gesundheitsrisiken für die Springer auf der Jagd nach einer immer höheren Weite zu mindern. Inwieweit dies von Erfolg gekrönt ist, wird kontrovers diskutiert.

Rhythmusänderung Olympia 1994

Die 17. Olympischen Winterspiele fanden 1994 im norwegischen Lillehammer statt.
Zum ersten Mal in der olympischen Geschichte wurde der Rhythmus zwischen den Sommer- und Winterspielen, so wie wir ihn heute kennen, geändert.
Bis zum Jahre 1992 fanden die Winterspiele im selben Jahr wie die Sommerspiele statt, jedoch wurde auf der 91. Session des IOC im Oktober 1986 die Regel 5 der Olympischen Charta mit großer Mehrheit (78 zu 2 Stimmen bei fünf Enthaltungen) geändert.
Von diesem Zeitpunkt an werden die Winterspiele „im zweiten Kalenderjahr, das jenem folgt, in dem die Spiele der Olympiade abgehalten werden“ (Kluge 1994, 504) ausgetragen.
Hintergrund dieser Regeländerung waren amerikanische Fernsehgesellschaften, welche sich in der Zukunft nicht in der Lage sahen, für die Sommer-, als auch für die Winterspiele „mehrere hundert Millionen Dollar für den Erwerb der Übertragungsrechte aufzubringen“ (Kluge 1994, 509).
Daraufhin erklärten sich die IOC-Exekutive bereit, der Session eine Änderung des Vierjahreszyklus vorzuschlagen, da man die Vermarktung der Winterspiele sichern und ihre Bedeutung erhöhen wollte.

Abschließend kann man feststellen, dass der Kampf um Zuschauer und die Eventisierung immer weiter voranschreiten wird. Es bleibt zu hoffen, dass die Gesundheit und die Grenzen der Athleten stets im Vordergrund bleiben.

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